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Büdinger Schüler mit Grausamkeit der NS-Verbrechen konfrontiert

Oberstaatsanwalt a.D. Gerhard Wiese mit Filmemacherin Isabel Guthof im Kino Büdingen


Eine Filmvorführung und ein Gespräch mit Zeitzeuge Gerhard Wiese lassen die Grausamkeit der NS-Verbrechen für Schüler des Büdinger Wolfgang-Ernst-Gymnasiums spürbar werden.

Etwa 220 Schülern aus der E-Phase, den zehnten Klassen und einer neunten Klasse des Büdinger Wolfgang-Ernst-Gymnasiums (WEG) hat der Film »Fritz Bauers Erbe« jetzt im Novum-Kino ein zentrales Stück aktueller NS-Aufarbeitung veranschaulicht: Die Dokumentation begleitete die Prozesse in Münster 2018 und Hamburg 2020, in denen ehemalige Wachleute des Konzentrationslagers (KZ) Stutthof in hohem Alter wegen Beihilfe zum Mord angeklagt worden waren. Vor allem die Berichte zweier KZ-Überlebender berührten beim Zuschauen.

Im Gespräch machte Regisseurin Isabel Gathof die Schicksale spürbar, als sie die Freundschaft zu einer Zeitzeugin beschrieb. In die Zeitgeschichte holte Oberstaatsanwalt a. D. Gerhard Wiese die Zuhörer, er arbeitete vor über 60 Jahren unter der Leitung von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer beim Frankfurter Auschwitzprozess mit.

Betroffenheit machte sich breit, als Wiese die Zeugenaussage des Arztes Mauritius Berner schilderte, die ihm damals besonders in Erinnerung geblieben war. Er habe bei seiner Ankunft in Auschwitz aus früherer Zeit den SS-Offizier gekannt, der an der »Selektionsrampe« über das Schicksal der Häftlinge entschied.
Berner habe den Offizier angesprochen und versucht, seine Familie zu retten. Der SS-Mann habe dessen Zwillinge daraufhin dem Lagerarzt Josef Mengele vorgeführt und, als dieser abwinkte, Berners Ehefrau und Kinder direkt in die Gaskammer geschickt. Wiese erklärte den Schülern, wie Bauer, der in der NS-Zeit verfolgt und im KZ Dachau inhaftiert worden war, die Ermittlungen für die Auschwitzprozesse aufnahm. Es sei belastend gewesen, sich jeden Tag mit den scheußlichen Taten beschäftigen zu müssen. Falls es zu schlimm wurde, hatte man ein »inneres Schutzschild, damit sind wir irgendwie über die Runden gekommen«, sagte der 95-Jährige.


Auf die Frage eines Schülers, ob Wiese und seine Kollegen mit den Ergebnissen der Prozesse zufrieden gewesen seien, antwortete er: »Wir hatten das Ziel, alle zu verurteilen, die an der menschenvernichtenden Fabrik Auschwitz beteiligt waren.« Letztlich habe es bis 2017 gedauert, bis der Bundesgerichtshof diese Auffassung teilte. »Dumme sterben nicht aus«, sagte Wiese. Es sei nicht verwunderlich, dass bis heute immer wieder Menschen die Schwere der NS-Verbrechen leugneten. »Ich bemühe mich deshalb, die Dinge wachzuhalten und mein Wissen weiterzugeben.«


(Kreis-Anzeiger v. 11.07.2024 / Fotos: Privat)
Mehr zu Gerhard Wiese: https://justizministerium.hessen.de/.../folge-21-2...

Film-Matinee „Fritz Bauers Erbe“ mit der Regisseurin Isabel Gathof im Kino Büdingen - Die Begleitung einer der letzten NS-Prozesse in Deutschland

Zu einem Film-Matinee hatten Prof. Dr. Udo Stern und Manfred Scheid-Varisco ins Büdinger Kino eingeladen. Gezeigt wurde der Film „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“. Rund achtzig Gäste sind der Einladung gefolgt. Der Film verfolgt die jüngsten NS-Prozesse zum KZ Stutthof im Jahr 2020 und begleitet Personen, die im Vorfeld und Verlauf der Prozesse beteiligt waren. 

Im Anschluss der Filmvorführung berichtete die Filmemacherin und Regisseurin Isabel Gathof über den Dreh des Films. In ihrem Film gehen Isabel Gathof und die beiden Co-Regisseurinnen Sabine Lamby und Cornelia Partmann mit Akribie den Fragen nach, warum sich Bruno D. als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof zum Mittäter gemacht. Er wurde in diesem Prozess nach mehr als 75 Jahren schuldig gesprochen. Der Dokumentarfilm zeigt auch, mit welchem großem Einfühlungsvermögen die Opfer des NS-Terrors bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit begleitet wurden. In dem Gespräch mit dem Publikum machte Isabel Gathof deutlich, wie wichtig ihr dieser Dokumentarfilm ist. Die Filmemacherin beschreibt die Vorbereitungen zu dem Film und den Kontakt zu Gerhard Wiese, dem letzten lebenden Staatsanwalt des Frankfurter Auschwitz-Prozesses als einen wichtigen Ausgangspunkt für ihre Arbeit. Der Film gibt die Stimmen von Juristen und Historiker, aber auch von Überlebenden wie Roza Bloch, mit der sie immer noch im Kontakt steht, und deren Angehörigen wieder. Es wird deutlich, dass „Fritz Bauers Erbe“ ein Film über die verpasste Chance einer Aufarbeitung der NS-Verbrechen ist, so die Reaktion des Publikums.

Foto v.l.n.r.: Prof. Dr. Udo Stern, Bundestagsabgeordnete Bettina Müller, Manfred Scheid-Varisco, 1. Stadträtin Katja Euler und die Filmemacherin Isabel Gathof


Beeindruckend ist auch, wie die Bestrebungen von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit den Frankfurter Auschwitzprozessen der 1960er Jahre heute in der deutschen Rechtsprechung angewandt werden. Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer vertrat bereits damals die Ansicht, dass sich jeder, der bzw. die in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager tätig war, der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht hatte. Erst in den beginnenden 2010er Jahren etablierte sich Bauers Ansatz als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland.

„Durch die Begleitung der Opfer und deren Suche nach Gerechtigkeit wird die emotionale Last und die persönliche Betroffenheit der Überlebenden eindrucksvoll dargestellt. Dies verleiht dem Film eine besondere menschliche Dimension und macht das Ausmaß des erlittenen Unrechts greifbar“, fasst Scheid-Varisco den Film und die Reaktion der Zuschauer zusammen. „Der Film zeigt, dass Deutschland eine konsequentere Haltung bei der Verfolgung ehemaliger NS-Täter eingenommen hat, selbst wenn diese mittlerweile sehr alt sind. Die Prozesse gegen NS-Täter wie Bruno D. betonen die Notwendigkeit, historische Verbrechen aufzuarbeiten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen“, mahnt Udo Stern.

Gefördert wurde das Filmmatinee über das Bundesprogramm „Demokratie Leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Auch 220 Schülerinnen und Schüler haben an dem Projekt teilgenommen.

07.07.2024

Nicht zu spät für Gerechtigkeit

Interview von Paulina Schick (Kreis-Anzeiger) und Regisseurin Isabel Gathof

Die Frankfurter Auschwitzprozesse gehören zu den wichtigsten Kapiteln der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fritz Bauer und Gerhard Wiese waren mutige Männer, die die Täter des Nationalsozialismus zur Anklage brachten. Ein Kinofilm und Zeitzeugengespräche machen das Thema in Büdingen greifbar. Im Interview mit der Regisseurin Isabel Gathof wird deutlich, wie aktuell die historischen Worte der Anwälte auch heute sind.

Der Film »Fritz Bauers Erbe« dokumentiert, wie die Bestrebungen von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit den Frankfurter Auschwitzprozessen der 1960er Jahren heute in der deutschen Rechtsprechung angewandt werden. Er soll zeigen, dass es für Gerechtigkeit nicht zu spät ist, Zuschauern aber auch eine Mahnung für die Zukunft sein. Im Interview mit dieser Zeitung gewährt Regisseurin Isabel Gathof einen Einblick in die Dreh- und Recherchearbeiten und erzählt von den Eindrücken und Erkenntnissen, die sie persönlich durch die Arbeiten für den Kino-Dokumentarfilm, etwa aus der Zusammenarbeit mit Holocaust-Überlebenden, gewonnen hat.

Frau Gathof, in Ihrem Kino-Dokumentarfilm geht es um die jüngsten NS-Prozesse. Wie entstand die Idee für das Werk?

Es handelt sich um eine Gruppenproduktion. Die anderen beiden Regisseurinnen sind Sabine Lamby und Cornelia Partmann. Sie haben das Drehbuch für den Spielfilm »Im Labyrinth des Schweigens« entwickelt, der zeigt, wie es zum ersten Auschwitzprozess kam. Bereits damals hatten die beiden die Idee, einen flankierenden Dokumentarfilm zum Spielfilm zu drehen. Ich selbst fokussiere mich mit meiner Filmproduktionsfirma »Feinshmeker Film« auf jüdische Themen.

Was ist Ihre persönliche Motivation, in diesem Themenbereich aktiv zu sein?

Verantwortungsbewusstsein. Medien sind heute eine der stärksten »Waffen«. Es gibt endlos viele deutsch-jüdische Geschichten. Ich möchte mit meiner Arbeit die Vielfalt jüdischen Lebens abbilden und vermitteln, vor allem auch jenseits des Opfer-Narrativs. Deshalb stand für uns in »Fritz Bauers Erbe« auch immer die Perspektive der Überlebenden im Mittelpunkt.

Können Sie uns einen Einblick in die Filmentstehung geben? Wie sind Sie die Dreharbeiten angegangen?

Wir haben zunächst den Münsteraner Prozess gegen Johann R. begleitet, der jedoch 2019 aufgrund attestierter Verhandlungsunfähigkeit abgebrochen wurde. Zunächst wussten wir nicht, was dann kommen sollte.

Wie ging es weiter?

Erst ein halbes Jahr später begann der Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im Konzentrationslager (KZ) Stutthof. In der Zwischenzeit kam eins zum anderen, über den Chef-Kameramann des ARD in Tel-Aviv, Miki Shubitz, lernte ich Roza Bloch, Überlebende des KZ Stutthof, kennen, die später auch Nebenklägerin in dem Prozess wurde. Eine weitere Protagonistin war Judy Meisel, die dieses Lager ebenfalls überlebt hatte.

Wer kommt in dem Dokumentarfilm noch zu Wort und warum?

Wir haben einen multiperspektivischen Ansatz gewählt, um Antworten auf die zentrale Frage zu finden, warum es so lange gedauert hat. Neben den Zeitzeuginnen haben wir unter anderem mit Nebenklägervertretern, dem heutigen Generalbundesanwalt Jens Rommel und Experten vom Institut für Zeitgeschichte gesprochen.

Sie waren bei den Prozessen teilweise selbst dabei, wie haben Sie sie erlebt?

Das Groteske war, dass die über 90-jährigen Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, da in Deutschland eben das Tatzeitprinzip gilt. Wenngleich beim Hamburger Prozess die Strafe letztlich nur auf Bewährung verhängt wurde, geht es jedoch darum, dass die Leiden der Überlebenden aktenkundig wurden.

Wie war es für die Zeitzeugen, diese Urteile jetzt mitzuerleben?

Beide haben ihren ganz individuellen Umgang damit. Für Roza war es eine Katharsis, wobei ihr gerechte Strafen durchaus wichtig sind. Judy war Menschenrechtsaktivistin hatte etwa an der Seite von Martin Luther King gekämpft, sie hatte einen versöhnlicheren Ansatz. Für beide Frauen brachte es aber eine späte Gerechtigkeit, dass ihre persönliche Leidensgeschichte dokumentiert und ihnen von einem deutschen Gericht zugehört wurde.

Was haben Sie persönlich aus diesen Begegnungen mitgenommen?

Die Stärke, der Stolz und die Güte dieser beiden Frauen, die so etwas erlebt haben, haben mich tief beeindruckt. Das Projekt ist weit mehr als ein Film für mich, vieles macht mir immer noch Gänsehaut. Beispielsweise zu sehen, wie viele der schrecklichen Erlebnisse unsere Zeitzeuginnen heute noch beschäftigen. Für Roza war es beispielsweise heilsam, dass ich den vollen Namen einer ihrer Peiniger für sie in Stutthof recherchieren konnte. Mit Blick auf die vielen Krisen der heutigen Zeit kann man die Leute noch am ehesten mit persönlichen, menschlichen Schicksalen erreichen. Der Film entstand quasi in letzter Minute, solange wir noch Zeitzeugen haben und auch, um die Generationen von heute und auch morgen daran zu erinnern, zur Menschlichkeit zurückzufinden.

Was sollten wir, Ihrer Ansicht nach, auch im Hinblick auf das aktuelle Zeitgeschehen von Fritz Bauer lernen?

Es gibt einen Mitschnitt von Fritz Bauer aus dem Hessischen Rundfunk von 1964, in dem er sagte, dass man lernen muss, zu sagen: »Nein, da mache ich nicht mit.« Gerechtigkeit und Demokratie funktioniere nur, wenn jeder einzelne sie schafft, indem er Haltung zeigt, sich bei Ungerechtigkeit abgrenzt und dagegenstellt. Auch Gerhard Wiese sagte, dass es entschlossener, williger und fähiger Einzelpersonen bedarf. Es ist erschreckend, wie aktuell diese Aussagen auch heute sind. In einer Demokratie können Einzelne etwas bewegen. Gleichzeitig tragen aber auch die Verantwortung, die »nur« mitmachen.

Oberstaatsanwalt a.D. Gerhard Wiese und Filmemacherin Isabel Gathof bei der Schulveranstaltung im Kino Büdingen


26.06.2024 Kreis-Anzeiger / Foto: Isabel Gathof

Filmgespräch mit Isabel Gathof und  Gerhard Wiese - Oberstaatsanwalt a.D.

Der Film »Fritz Bauers Erbe« wird am Sonntag, 7. Juli, ab 11 Uhr im Novum-Kino (Bahnhofstraße 46-48) in Büdingen gezeigt. Anschließend gibt es ein Filmgespräch mit Regisseurin Isabel Gathof. Die Tickets sind kostenlos. Eine Reservierung ist notwendig und kann online auf www.kino-buedingen.de gemacht werden. Zudem gibt es am Wolfgang-Ernst-Gymnasiums einen Vortrag zu politischer Bildung »Haltung statt Zurückhaltung« von Prof. Dr. Tim Engartner sowie eine Diskussion und ein Gespräch, zu dem neben der Regisseurin auch Zeitzeuge Gerhard Wiese kommen wird. Fritz Bauer ist ein Beispiel für einen Mann, der sich unbequem und unerschrocken für, Gerechtigkeit und Menschlichkeit einsetzt, sagt Veranstaltungsinitiator Manfred Scheid-Varisco. Mitveranstalter Prof. Dr. Udo Stern mahnt: »Im Geiste Fritz Bauers tragen wir die Verantwortung, die Lehren der Vergangenheit zu bewahren und Menschenrechte zu verteidigen.«



Film-Matinee:  „Fritz Bauers Erbe. Gerechtigkeit verjährt nicht“ am Sonntag, den 7. Juli um 11 Uhr im NOVUM-KINO

Jahrzehnte nach Kriegsende finden derzeit die wahrscheinlich letzten Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher*innen statt. Lange konnte die deutsche Justiz nicht der historischen Tatsache gerecht werden, dass der systematische Massenmord in Konzentrationslagern nicht durch einzelne, wenige Täter*innen, sondern nur durch die Unterstützung von tausenden Mittäter*innen begangen werden konnte. Dabei war der juristische Grundstein für einen Paradigmenwechsel längst durch den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gelegt, der im historischen Frankfurter Auschwitz Prozess 1963 zum ersten Mal Angeklagte für Beihilfe zum Mord vor ein deutsches Gericht brachte.


Der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe. Gerechtigkeit verjährt nicht“ zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse zum "KZ Stutthof“ in Münster (2018/2019) und Hamburg (2020), wie sich Fritz Bauers Ansatz erst spät als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte. Mit bewegenden und aufrüttelnden Zeitzeugenberichten von Überlebenden, die in den Prozessen als Nebenkläger*innen agieren, entfaltet der Film eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Gerechtigkeit ihren Weg in die deutschen Gerichte fand, und zeigt zugleich die Bedeutung der heutigen Urteile als Mahnung für die Zukunft.


Wir laden Sie herzlich ein, den Film mit uns gemeinsam zu schauen und im Anschluss mit der Regisseurin und Filmemacherin Isabel Gathof  ins Gespräch zu kommen. 

Ab sofort können Reservierungen für die Veranstaltung durchgeführt werden. Einfach dem Link folgen. Wichtig eine Reservierung ist zwingend erforderlich!

Hier: Tickets für die Veranstaltung:  "Fritz Bauers Erbe - Gerechtigkeit verjährt nicht"


Vortrag über Fritz Bauer am 28. Juni in der Willi-Zinnkann-Halle in Büdingen

Als hessischer Generalstaatsanwalt war Fritz Bauer verantwortlich für das Zustandekommen des Auschwitz-Prozesses, der von Dezember 1963 bis August 1965 in Frankfurt am Main statt fand. Mit diesem Prozess gewann die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine öffentliche Dimension. Er war einer der bedeutendsten Vorkämpfer für Strafrechts- und Strafvollzugsreformen, für Resozialisierung und für eine gesellschaftliche Verantwortung des Justizwesens beim Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft

Heißt neue Brücke bald Fritz-Bauer-Steg?

NAMENSGEBUNG SPD möchte an ehemaligen Generalstaatsanwalt erinnern / „Zeichen für die Gemeinsamkeit aller Demokraten“

BÜDINGEN - (red). Die neue Fußgängerbrücke über den Seemenbach ist installiert. Sie soll noch in diesem Monat eröffnet werden. Einen Namen hat der neue Übergang von der Emil-Diemer-Anlage zum Amtsgericht noch nicht. Die Büdinger SPD macht einen Vorschlag, wie die Brücke heißen soll: Fritz-Bauer-Steg. Einen entsprechenden Antrag hat der stellvertretende Ortsvorsteher Manfred Scheid-Varisco für die nächste Ortsbeiratssitzung am 14. Dezember eingebracht.

„Die neue Brücke verbindet zwei Institutionen, die Stadtverwaltung und das Amtsgericht. Deren Wirken steht zentral für eine funktionierende Demokratie. Das war nicht immer der Fall“, begründet die SPD den Antrag in einer Pressemitteilung. „Der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hat sich – unterstützt vom damaligen Ministerpräsidenten Georg August Zinn – schon sehr früh gegen das Vergessen und Vertuschen gewehrt. Mit seinem Namen sind die Wiederherstellung der Ehre der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse und nicht zuletzt die Ergreifung und Überführung Adolf Eichmanns nach Israel verbunden.“

Fritz Bauer war in dreifacher Hinsicht verfolgt: als Jude, als Sozialdemokrat und als Schwuler – auch noch nach 1945. Nach dem Krieg trat er nicht nur für Menschlichkeit und Gerechtigkeit ein, er verweigerte sich auch dem Trend in der deutschen Nachkriegsjustiz, vor den Gräueltaten der Nazis die Augen zu verschließen und nichts gewusst zu haben. „Wenn Deutschland heute in der Welt wieder Glaubwürdigkeit gefunden hat, dann haben wir das unter anderem auch dem Wirken Fritz Bauers zu verdanken. Mit Rückendeckung des damaligen Ministerpräsidenten hat sich Bauer als einer der ersten um die Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verdient gemacht“, betont Scheid-Varisco.

„Mit der möglichen Benennung der Brücke könnte ein Mann ausgezeichnet werden, der sich unbequem und unerschrocken der Aufgabe verschrieben hat, Gerechtigkeit und Menschlichkeit Geltung zu verschaffen. Gerade in Zeiten, in denen Rechtspopulisten und Neonazis Morgenluft wittern, ist der aufrechte Gang wichtig – und dafür ist Fritz Bauer ein gutes Vorbild“, begründet die SPD ihren Antrag.

Nach den Ereignissen in Büdingen in diesem Jahr, die der Stadt einen schlimmen Ruf eingebracht hätten, könne mit dieser Namensgebung ein Zeichen für die Gemeinsamkeit aller Demokraten auf der Grundlage von Menschlichkeit und Gerechtigkeit gegeben werden, so die SPD abschließend.

Quelle: Kreisanzeiger

http://www.fritz-bauer-archiv.de

 

FRITZ M. BAUER (1903-1968)


"Widerstand ist Kritik und Opposition in Rede und Schrift, Widerstand war und ist der Streik. Die Plebejer streikten, Ghandi schuf eine Bewegung des bürgerlichen Ungehorsams, und die Schwarzen der Südstaaten der USA folgen Ghandi und seinem Nachfolger Martin Luther King. Emigration aus dem Land einer Tyrannei ist Widerstand. ... Sie war immer aufopferungsvoller Ungehorsam. Widerstand ist die Weigerung, einem ungerechten Befehl oder Gesetz zu folgen, ist die Hilfe, die den Opfern eines bösen Staats geleistet wird."


Die gemeinnützige BUXUS STIFTUNG GmbH, die dem Erbe Fritz Bauers verpflichtet ist, hat eine Webseite über Fritz Bauer publiziert: http://www.fritz-bauer-archiv.de, dort sind alle weiteren Informationen gebündelt, auch zum Thema Umgang mit Rassismus und Persönlichkeitenrechten in den neuen Fritz Bauer-Filmen.

Fritz Bauer-Biographin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen BUXUS STIFTUNG GmbH PD Dr. Irmtrud Wojak unterstützt den Vorschlag der SPD Büdingen. 

Auch in New York findet der Vorschlag der SPD Büdingen Beachtung:


(Auszug aus der E-Mail)


...
Mich verwundert aber sehr, daß es überhaupt zu einem Für-und-Wider der Benennung eines Brückchens zu Ehren von Dr. Fritz Bauer kommen kann. Ich schreibe daher Ihnen beiden in der Hoffnung, dass Sie sich vereint über solch Für-und-Wider hinwegsetzen mögen.

Büdingen und seine Umgebung sind nämlich zu einer Hochburg der hessischen Neo-Nazis geworden, und es wäre wirklich bedenklich, wenn die demokratischen Parteien in Büdingen - FWG, SPD, CDU - sich nicht auf diese ja doch minimale Ehrung jenes deutschen Juristen einigen könnten, der wie kein anderer die gerichtliche Aufdeckung der Nazi-Verbrechen mittels Präzedenz-setzenden Prozessen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen so vorangetrieben hat, dass selbst Neo-Nazis nicht mehr an diesen vorbeikommen. 

Ich denke dabei vor allem an -

  • die zentrale Rolle Dr. Bauers als Ankläger gegen General Otto Ernst Remer 1952; erst durch Remer’s Verurteilung konnte  in Deutschland die Ehrung des militärischen Widerstandes gegen Hitler nicht länger als ‘Landesverrat’ abgetan werden, sondern war nunmehr öffentlich zu würdigen; 
  • die zentrale Rolle Dr. Bauers in der Identifizierung von Person und Lokalisation, samt nachfolgenden Ergreifung, des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann; erst dadurch konnte es  in Israel zum Eichmann-Prozesses kommen, 1962 in Jerusalem, der zu einem wesentlichen weil nationale Identität-herstellenden israelischen Ereignis geworden ist; 
  • die zentrale Rolle Dr. Bauers in der Initiierung und Durchführung der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963-1968), insbesondere des ersten Auschwitzprozesses (1963-65); erst dadurch konnte es  in Deutschland zu einer zumindest teilweisen Überwindung von Verdrängung und Verleugnung der nationalsozialistischen Menschenschlachterei kommen, wodurch die  Auschwitzprozesse zu einem wesentlichen weil nationale Identität-herstellenden deutschen Ereignis geworden sind; bemerkenswerterweise folgt die bundesdeutsche Rechtsprechung heute (aber nicht 1963-68) genau der Bauer’schen Rechtskonzeption, wonach der Nachweis eines direkten Tötungsdelikts in Vernichtungslagern nicht notwendig sei, denn  jedwede Mittäterschaft, tägliche Präsenz vor Ort, etc., trug zum reibungslosen Ablauf der gemeinschaftlichen Tötungsmaschinerie bei.
  • die zentrale Rolle Dr. Bauers 1965 als Urheber und Autor des generalstaatsanwaltschaftlichen  ‘Antrages zur Voruntersuchung’ wegen Rechtsbeugung, Strafvereitlung, etc., gegen die Spitzen des Reichsjustizwesens (Minister, Oberlandesgerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälte, etc.), da diese in einer Sonderkonferenz, abgehalten in Berlin am 23.4.1941, vorsätzlich und konspirativ die heimtückische Ermordung von zumindest 70,000 deutschen Staatsbürgern außer Verfolgung gesetzt hatten obschon jede einzelne diese ärztlich überwachten Ermordungen (‘Euthanasie' bzw. 'T4-Program’) den Tatbestand Mord bzw. heimtückischer Mord erfüllte gemäss der anzuwendenden Paragraphen des Reichsstrafgesetzbuches, inklusive der besonderen Paragraphen bezüglich Ermordung von Kindern. Die meisten der voraussehbar Anzuklagenden waren zu Bauer’s Zeit in höchsten Führungspositionen des bundesdeutschen Justizwesen, zur Anklage-Erhebung kam es wegen Bauer’s so ganz plötzlichem Tod-in-der-Badewanne nicht. Aber: Seine Anklageschrift ist ein einzigartiges Dokument des Niederganges von deutschem Recht und deutscher Medizin in der Nazi-Zeit; und wird ein Schlüsseldokument sein vor der UNO, die sich als Teil der Erweiterung der Genozid-Definition auch mit dem Schutz vor Patienten-Massentötungen beschäftigen wird.   

Ich habe auf der www Seite der SPD Büdingen gesehen, das sich inzwischen auch das nach Bauer benannte Frankfurter Fritz-Bauer-Institut in dieser Sache zu Wort gemeldet hat. Ich gestatte mir den Hinweis, dass gerade dieses von Land Hessen getragene Institut den Unbekanntheitsgrad von Dr. Fritz Bauer in Deutschland wesentlich erhöht hat und an der Deformierung seines Andenkens entscheidend beteiligt ist, etwa durch die Begünstigung, ja: Ermöglichung der verfälschenden Bauer-Biographie des Journalisten Steinke, die von Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg im Jahr 2014 in der ZEIT scharf gerügt wurde; siehe anliegendes pdf Dokument zum Beleg.

Diese einzigartige Rüge des Generalstaatsanwaltes von Bradenburg war der Grund, warum ich am 14.12.2016 schriftlich vorschlug, doch Dr. habil. Wojak zu einem Bauer-Vortrag nach Büdingen einzuladen: Sie hat die grundlegende und bahnbrechende Biographie über Bauer's Leben geschrieben und deswegen wurde ihr als erster deutscher Historikerin die Ehrung der Harvard Universität zuteil in Form der Ernennung zum Fellow am Radcliffe Institute for Advanced Studies; siehe https://www.radcliffe.harvard.edu/people/irmtrud-wojak.


 

Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann (CDU) würde gerne an der Eröffnung und Benennung des „Fritz-Bauer-Steg“ teilnehmen. Dies teilte sie uns in einer E-Mail im Dezember 2016 mit. 

 

 

Hier ein Leserbrief von Dr. Udo Stern, Ehrenamtsagentur Büdingen (Kreisanzeiger vom 04.01.2017):


 

 

 

 

                                                                     www.fritz-bauer-institut.de

„Als weltoffene Stadt ein Zeichen setzen“

ZUSTIMMUNG Bündnis: Brücke nach Fritz Bauer benennen

BÜDINGEN - (red). Im Zuge des Stadtumbaus ist in der Emil-Diemer-Anlage eine neue Brücke über den Seemenbach errichtet worden. Inzwischen ist die Namensgebung dieser Brücke in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Die Büdinger SPD stellte den Antrag, sie nach Fritz Bauer zu benennen (der Kreis-Anzeiger berichtete). Boris Winter vom Büdinger Bündnis für Demokratie und Vielfalt hält den Vorschlag, den Übergang über die Seeme nach dem ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalt zu benennen, für eine sehr gute Idee.

„Fritz Bauer hat wie kaum ein anderer dazu beigetragen, begangenes Unrecht der NS-Zeit in der Nachkriegszeit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen und auch gerichtlich zu ahnden. Trotz großen öffentlichen Widerstands ist es auf seine Initiative zurückzuführen, dass der erste Auschwitz-Prozess geführt wurde“, führt Winter in einer Pressemitteilung des Bündnisses weiter aus.

In einer Zeit, in der das historische Erbe immer mehr in den Hintergrund trete und es nur noch sehr wenige Zeitzeugen gebe, sei es für Büdingen wichtig, als weltoffene und tolerante Stadt ein Zeichen zu setzen. Das Büdinger Bündnis für Demokratie und Vielfalt gründete sich im vergangenen Jahr unter anderem auch als Reaktion auf die teilweise erschreckend hohe Zustimmung für rechtsradikales Gedankengut in der ehemaligen Kreisstadt.


„Wir setzen uns für eine Gesellschaft ein, die frei ist von Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung. Rechte Parolen und Diskriminierung von Andersdenkenden dürfen nicht wieder salonfähig werden. Wo einem Emil Diemer gedacht wird, sollte im Hinblick auf unsere Vergangenheit in jedem Fall auch Platz für einen Fritz Bauer sein“, betont Boris Winter abschließend.

Kreisanzeiger vom 16.01.2017

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